Tag 83 - Ohne Straßenkarte im Grenzgebiet und eine stundenlange Kontrolle
Nördlich von Irbid – Jordan River Crossing – Tiberias – Ein Tabgha
Ich habe bei meinem kurzen Aufenthalt in Jordanien nicht nur die gestrichenen Reiseziele und das irakische Flüchtlingslager nicht gesehen. Nein, auch die Töchter meiner Gastgeberfamilie habe ich nie richtig zu Gesicht bekommen. Ich habe sie nur mal kurz rumhuschen sehen oder aus der Ferne erspäht. So was sollte man ja eigentlich nicht für möglich halten, wenn der Vater der Familie gegenwärtig lebt und dazu noch lange Zeit in Deutschland sesshaft war. Entweder er vergibt sie nur an muslimische Männer oder er hat in Deutschland einige einschneidende negative Erlebnisse gehabt.
Gay-Pride-Parade
Im Frühstücksfernsehen bekomme ich mit, dass gestern in Jerusalem die „Gay-Pride-Parade“ stattgefunden hat. Schade, dass ich nicht ein bisschen schneller war. Denn neben dem Festcharakter hat bzw. haben die Gay-Parades in Israel etwas Besonderes: Hier stehen sich nicht die üblichen Gruppierungen des „Heiligen Landes” gegenüber. Es kämpfen nicht Moslems gegen Juden gegen Christen. Es kämpfen nicht einzelne Parteien gegeneinander. Hier vereinen sich die üblichen Feinde zu zwei Fronten. Man hört viele kritische Stimmen von Leuten, die sich sonst nicht an Aktionen der Homosexuellen stören: Respekt der „Heiligen Stadt“ gegenüber sei nicht vorhanden, es würden religiöse Gefühle der Gläubigen verletzt werden. Man solle solche Veranstaltungen irgendwo, aber bitte nicht in Jerusalem, abhalten. Ein Thema, bei dem sehr viele, auch junge Israelis empfindlich sind.
Den Teilnehmern geht es aber allein um innere Überzeugung und Sympathie. Die Religionszugehörigkeit oder Staatsangehörigkeit spielt hier auf ein Mal keine Rolle mehr. Man sollte das Ganze mal positiv betrachten: Die Homosexuellen schaffen es bzw. sind Ursache dafür, dass die (konservativen und extremen) Moslems, Juden und Christen sich zusammentun und wenigstens in einem Punkt gemeinsame Sache machen. Respekt!
Und: Die Homosexuellen konnten im Vergleich zum letzten Jahr punkten: Da fand keine Parade durch die Stadt statt, die Veranstaltung wurde ins am Stadtrand gelegene Stadion der Universität verlegt. Zur Sicherheit der Demonstranten waren etwa 7.000 Polizisten bereitgestellt, doppelt so viele wie Demonstranten. Und die Teilnehmer waren lange nicht so bunt und nackt unterwegs wie in Tel Aviv oder anderen Paraden. Zu Gewalt – wie in Warschau oder Moskau – ist es aber nicht gekommne, es gab nur einige wenige Festnahmen bei den ultra-orthodoxen Juden.
Wie ich später erfahre, wäre es dieses Jahr beinahe zu einer Katastrophe gekommen, da ein ultra-orthodoxer Jude einen Sprengsatz mit sich führte, den er auch hochgehen lassen wollte.
Nach dem Frühstück bringt mich der Vater des Hauses mit dem Auto zur nächsten Stadt, von wo ich meine Radtour gegen 11 Uhr wieder starte. Ich fahre los, habe aber eigentlich keine Ahnung, wo genau ich bin. Da es aber keine große Auswahl bei den Straßen gibt, wird es wohl schon stimmen. Ich komme gegen 12:30 an Umm Qais vorbei, auch bekannt unter den alten Namen Gadara, Antiochia (Semiramis) und Seleucia. Unter den Römern war die Stadt Teil der Dekapolis, genau wie Damaskus (vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Umm_Qais). Für einen Aufenthalt hier bin ich aber überhaupt nicht motiviert (schöne Fotos unter www.umdiewelt.de/Asien/Mittlerer-Osten/Jordanien/Reisebericht-1226/Kapitel-19.html, www.swisscastles.ch/jordanie/ummquays.html), denn ich will heute noch am See Genezareth ankommen. Es gibt auch noch andere Sehenswürdigkeiten, die beinahe auf dem Weg liegen wie Tall Zirā‘a (s. www.deiahl.de/de/gadara_region_project/anfahrtsbeschreibung), die aber einfach zu viel sind für meine Knie und meinen Kopf. Das nächste mal eben. Außerdem sehe ich hier im äußersten Norden Jordaniens viele kleine Zeltsiedlungen, in denen Pakistanis leben. Diese arbeiten hier, i.d.R. hüten sie Schafherden.
Fahrt an der Grenze entlang
Wie ich beim späteren Recherchieren zu den Berichten herausfinde, bewege ich mich aus Versehen glücklicherweise auf einem Umweg: Ich fahre die ganze Zeit nahe der eigentlichen Grenze zu Syrien, den von Israel besetzten Golanhöhen, entlang.
Diese wurden 1967 von Israel besetzt, woraufhin ein Großteil der 120.000 Bewohner das Gebiet verlassen hat. Die Golanhöhen haben übrigens keinerlei religiöse Bedeutung für Israel, sondern eine rein militärisch-politisch-ökonomische. Im Norden des Golan liegt ein Skigebiet. Dort lebt auch die religiöse Minderheit der etwa 17.000 Drusen neben etwa genau so viel zugewanderten Israelis. Die Drusen besitzen aber keine eigene Nationalität (wie die Beduinen im Süden Israels), denn sie bekennen sich noch zum Staat Syrien (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Golanh%C3%B6hen). Eine Darstellung über die „geographisch, politisch und religiös undefinierte Umwelt” ist im Film „Die syrische Braut” zu sehen (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Die_syrische_Braut). Der Nahostkonflikt wird darin aus einer völlig neuen Perspektive gezeigt. "...eine Geschichte (...), die auch in Belfast oder in Berlin zur Zeit der Mauer hätte spielen können." (vgl. www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,347563,00.html).
Diese grenznahe Fahrt macht die Reise zu einem besonderen Erlebnis. Als Deutscher kann ich mich hier recht frei und ungezwungen bewegen, was den Einheimischen nicht möglich ist. Zudem bekomme ich hier in kürzesten Abständen Einblicke in verschiedenste Bevölkerungsgruppen.
Der Weg Richtung Israel scheint zu stimmen, denn hier stehen einige Checkpoints. Der lange Umweg ist aber noch nicht genug: Der Lohn für die ganze Rumkurverei, das Bergabfahren, wird mir erschwert. Dieses Mal ist es aber nicht der Wind, sondern die stehende Luft: Immer wieder spüre ich, wie mir heiße Luftströme entgegenkommen, als würde ich in einen Backofen hineinfahren.
Es ist schon sehr eigenartig, hier in diesem Niemandsland alleine bei dieser Hitze zu fahren. Es ist aber auch sehr besonders, das wohl speziellste Stück der ganzen Tour. Bisher war meistens in etwa klar, wo der Weg hinführt und die Karten haben weitergeholfen. Eine präzise Karte über Jordanien habe ich aber nicht. So fahre ich halt nach Gefühl durch die atemberaubende Landschaft, fühle mich absolut sicher und zufrieden. Etwa eine Stunde lang bin ich unterwegs, ohne dass ich auch nur einen Menschen sehe. Wie ich später sehe, ist die Hauptstrecke für Autos einige Kilometer südlich.
Dann sehe ich den See Genezareth vor mir, ein wunderschöner Anblick: Weit entfernt ist er nicht, maximal 5 km. Doch da gibt es ein Problem: Die Grenze. Die besagt nämlich, dass ich noch ein ganzes Stück weiter Richtung Süden fahren muss, um nach Grenzübertritt wieder entgegengesetzt nach Norden zu fahren (ein weiter nördlich gelegener Grenzübergang ist für „gewöhnliche“ Übergänger nicht geöffnet).
Außerdem gibt es da noch die zerstörte Bahnbrücke.
Auf einer Karte sehe ich die genaue Bahnstrecke, die – allein aus politischen Gründen – sehr interessant aussieht: Von Der’a den Fluss Yarmuk entlang bis zum Südende des See Genezareth. Tatsächlich bin ich hier wieder an einer Nebenstrecke der Hedschasbahn, die einst bis von Dar’a bis Haifa geführt hat. Der durchgehende Verkehr ist hier spätestens 1924 eingestellt. Heute liegen noch/ wieder betriebene Teilstrecken in Syrien, dem Libanon, Jordanien, Israel und Saudi-Arabien. Neben den wieder aktivierten Strecken gibt es aber häufiger gesprengte Gleise und Waggons zu sehen (vgl. www.fremde-kulturen.de/hedjazbahn/hedjazbahn.htm). Für Bahnfreunde ist das hier sicher das Paradies: Überall sind alte Bahnlinien zu entdecken, die der Durchschnittsbürger nicht mal erahnt.
Nach einer langen Abfahrt komme ich ins 375 km lange Jordantal (arabisch „Al Ghor“), wo es oft nur auf und ab geht. Vorbei an einem Gebiet, in dem alle paar hundert Meter ein Checkpoint steht: 10 insgesamt. Probleme gibt es aber keine. Nur muss ich halt immer wieder anhalten, um den interessierten Wachleuten meinen Ausweis zu zeigen oder meine Reisepläne zu präsentieren.
Ich passiere „Municipality of Mouath Bin Jabal“ (Ash Shuna Ash Shamaliyya), North Shouneh, wo es angeblich heiße Quellen gibt. Vor allem aber gibt es hier viele Einrichtungen der UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) wie eine Schule und ein Krankenhaus. Leider sind die heute, da ja muslimischer Ruhetag ist, geschlossen.
Das Hilfswerk besteht seit 1949 zur Hilfe palästinensischer Flüchtlinge in den Bereichen medizinische Versorgung, humanitäre Maßnahmen, Erziehung, Ausbildung, Verbesserung der Infrastruktur, Beschaffung von Arbeitsplätzen und hat Einrichtungen in Jordanien, Syrien, Libanon, dem Gazastreifen und dem Westjordanland (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfswerk_der_Vereinten_Nationen_f%C3%BCr_Pal%C3%A4stina-Fl%C3%BCchtlinge_im_Nahen_Osten).
Kurz vor dem Grenzübergang decke ich mich noch ausreichend mit Getränken ein, denn in Israel sind die Preise um einiges höher. Wieder vergesse ich dabei, die kleinen und großen Jungs schon im Vorneherein zu warnen. Die spielen nämlich am Fahrrad so lang herum, bis irgendwas kaputt ist: Die Gangschaltung oder sonst was, das man schön bewegen kann. Oder der Tacho, der hat nämlich so schöne Zahlen und Knöpfe.
Grenzübergänge mit Limonade, verbotenem Übergang für Fahrräder und Zigarette mit junger Soldatin
Am jordanischen Grenzübergang (s. http://en.wikipedia.org/wiki/Jordan_River_Crossing) werde ich problemlos durchgelassen, darf mich sogar noch in das Grenzhäuschen setzen und bekomme eine Zuckerlimonade angeboten. Die Grenzbeamten wünschen mir viel Glück bei der Einreise nach Israel – und dass ich überhaupt durchkomme. Was hier sonst noch auffällt: Es werden fast überall Nummernschilder an den Autos ausgetauscht: Wer von Jordanien nach Israel zurückfährt, nimmt das jordanische ab und befestigt das israelische und umgekehrt.
Grenzübergang Jordanien – Israel: Ich muss eine Stunde auf den Bus warten. Denn per Rad darf man nicht über die Grenze, aus welchen bescheuerten Gründen auch immer. Dies ist also der erste Teil der Strecke, an dem es mir nicht erlaubt ist, die Reise mit dem Rad fortzusetzen.
So überquere ich den Jordan, den tiefstgelegenen Fluss der Erde, der praktisch durchgehend vom See Genezareth bis zum Toten Meer die Grenze von Jordanien zu Israel und der Westbank bildet (Ausnahme: ganz im Norden, wo der Fluss Yarmuk die Grenze bildet). Bei der Kontrolle des Busses bin ich erstaunt, dass die jungen Israelis ohne Uniform aber mit Gewehr arbeiten.
hier geht es nach rechts |
Grenzübergang Jordanien - Israel |
König Abdullah II. |
Grenzfluss Jordan |
Jordan River Crossing, israelische Seite |
Ankunft in Israel |
Gegen 17 Uhr an der israelischen Grenzstation angekommen, muss ich dort mein Fahrrad auseinanderbauen, damit es durch die Kontrollanlage passt. Geahnt bzw. befürchtet habe ich diese Aktion, rege mich aber trotzdem ziemlich auf. Als ich das Vorderrad abgebaut habe und wohl durch mein Gemaule und meinen genervten Blick auffalle, verschonen mich die SoldatInnen (etwa ¾ weiblich) vor dem Ausbau des Hinterrades. Wäre auch ziemlich unnötig gewesen, denn das Rad passt problemlos durch die Anlage. Etwas Verdächtiges ist bei der Durchleuchtung meines Rades aber nicht zu finden. Wo denn auch?
Nach einer längeren Befragung der einzigen älteren Soldatin (etwa 40) bin ich nach vielen Interessen („Waren Sie schon mal in Israel, wann und wie oft?”, „Wie lange und wo im Libanon?”, „Wohin wollen Sie?”, „Kennen Sie jemanden in Bethlehem? Adresse?”, „Was ist der Sinn der Reise?”) etwas genervt. Am meisten hat mich die Frage „Warum sind Sie über Syrien gefahren?“ aufgeregt. Wie soll ich denn sonst fahren? Ein Blick auf eine Landkarte verrät, dass man östlich (Mittelmeer) schlecht Rad fahren kann, östlich ist der momentan eher unsichere Irak und sonst gibt es einfach keinen anderen Weg. Es gäbe nur noch die Möglichkeit, mit einem Hubschrauber nach Bethlehem zu fliegen, wobei mir hierzu die finanziellen Rücklagen fehlen würden. Und um einen Tunnel nach Bethlehem zu graben, fehlen mir Zeit, Ausrüstung und Motivation. Zudem ist Syrien ein schönes Land mit netten Menschen.
Nach zwei Stunden „Security check” mache ich die Dame darauf aufmerksam, dass ich schon lange genug auf meinen Reisepass warte. Sie meint, das wäre zu meiner Sicherheit, ob ich nun damit zufrieden sei oder nicht. Ich sage ihr, dass ich überhaupt nicht zufrieden bin. Von dieser Dame bin ich sowieso schon genervt. So hat sie mir nach der Befragung doch verboten, mich weiterhin mit den hübschen jungen Damen der Grenzkontrolle zu unterhalten. „Don’t disturb!” (stören sie nicht!) hat sie mir gesagt und mich auf die Sitzplätze fernab der Schalter verwiesen.
Doch ich mache das Beste aus der Situation am frühen Abend: Ein Bier trinken, ein syrisches (ich habe mich vorher sicherheitshalber erkundigt: man darf hier trinken, essen übrigens auch).
Als ich dazu noch eine Zigarette rauchen will, muss ich warten, bis eine der jungen Soldatinnen Zeit hat, mich nach draußen zu begleiten. So sitzen wir draußen und kommen ins Gespräch. „Woher ist das Bier denn?“ „Aus Damaskus, Syrien.“ Eine Mischung aus Schrecken und Verwunderung legt sich auf ihr Gesicht. „Ist es da nicht gefährlich, da leben doch nur Araber?“ „Nein, ich habe mich dort sicher gefühlt.“ Gleich füge ich noch eine Frage hinzu: „Wie viele Araber kennst Du eigentlich?“ Sie denkt kurz nach und lächelt überrascht. Das ist wohl Antwort genug. Hierzu passt eine Aussage des Dirigenten Daniel Barenboim: „Ich glaube, eines der größten Probleme zwischen Israelis und Palästinensern ist, dass beide in ihrer eigenen Welt leben und nichts von dem anderen wissen“ (s. www.arte.tv/de/kunst-musik/daniel-barenboim/963192,CmC=963172.html). Vielleicht hilft es ja ein wenig, dass ich ihr erzähle, dass ich jüdische Israelis getroffen habe, die einfach mal nach Damaskus wollen, nur um eine Falaffel zu essen und genauso christliche Syrer, die sich nichts mehr wünschen als einen Besuch in der „heiligen Stadt“ Jerusalem.
Wir gehen wieder zurück, und das Warten geht weiter. Genug Zeit, um die Umstände und Abläufe hier zu beobachten. Vor allem stört mich das Bild mit den beiden Friedenstauben, das am Eingang hängt. Für wen oder was sollen die bitte stehen? Sicher nicht für die israelische Besatzungspolitik. Wie ich auf meiner Reise später noch erfahren werde, ist es bei Israelis typisch, für den gewöhnlichen Europäer kuriose und unverständliche Dinge zu kombinieren (s. Tag 87, „Jerusalem–Bethlehem – Love and Peace“). Die jungen Soldatinnen lockern die Situation aber. Wenn ich mir manche von denen anschaue, habe ich eher das Gefühl, in der Disko zu sein: Sehr gepflegt, meistens am Kichern, immer an ihren Klamotten herumzupfend und ein tiefer Ausschnitt. Da fällt die nicht ins Bild passende Uniform gar nicht mehr auf. Wenn mal keine neue Busladung am Grenzübergängern wartet, rollen sie auf ihren Stühlen hinter den Schaltern herum oder erkundigen sich auf der Gepäckwaage nach ihrem aktuellen Gewicht. Um den jungen Damen ihre Langeweile ein bisschen zu unterbrechen, kleide ich mich ein bisschen um bzw. entledige mich meiner langen Hose und habe jetzt nur noch meine Radklamotten an. Auch wenn die Damen interessiert und amüsiert sind, kann und will ich den Strip nicht weiterführen. Schließlich hab ich ja schon absichtlich langsam gemacht und will es mir mit der Chefin nicht ganz verderben.
Nach einer weiteren Stunde bekomme ich meinen Ausweis zurück, das Visum gilt aber nur für zwei Wochen. Eigentlich habe ich mich darauf vorbereitet, mit ihr bei der Übergabe noch ein paar Worte zu wechseln bzw. ihr meine Meinung zu sagen: Wieso braucht sie so lange mit dem „Security Check”? Ich komme mit dem Fahrrad aus Deutschland hierher, was an den Einträgen in meinem Reisepass auch zu erkennen ist. Mir ist klar, dass Israel Angst vor Terroristen hat. Aber ich wäre sicher der erste, der für so eine Aktion über 5.000 km auf dem Fahrrad zurücklegt. Da gibt es doch durchaus einfachere Methoden. Zudem rechne ich damit – Israel ist eines der modernsten Länder der Welt – dass die Rechner hier gut vernetzt sind und schnell laufen. Wieso also drei Stunden warten? Ich schätze es einfach als Schikane ein. Vielleicht dafür, dass ich der Frau bei der Eingangsbefragung gesagt habe, dass ich das Visum nur auf einem Zettel haben will, nicht aber in meinem Reisepass. Denn: Falls ich wieder mal nach Syrien wollte, wäre das mit einem israelischen Stempel im Pass nicht möglich. Und ein neuer Pass ist heute nicht mehr so preiswert wie vor ein paar Jahren. Die Kritik passt aber nicht in die Situation, es ist in dem Moment einfach zu voll und zu laut.
Einen gewissen „Respekt“ hatte ich von Anfang an gegenüber den israelischen SoldatInnen. Nicht aber wegen der „Autorität“, sondern vor der Tatsache, dass bei denen gelegentlich eine Art Autonomie herrscht und Wut nach unten abgelassen wird. Das kann damit enden, dass man – bei politisch Kritischen und Aktiven nicht selten – ein Einreiseverbot für Israel bekommt bzw. rausgeschmissen wird.
Wie ich später bei verschiedenen, vor allem christlichen Einrichtungen mitbekomme, habe ich verdammt Glück gehabt und war eine Ausnahme: Es wurden – auch in letzter Zeit – die meisten Leute nicht über die Grenze gelassen, wenn sie sagten, das sie in palästinensisches Gebiet wollen. Oder wenn sie einen Stempel vom Libanon oder von Syrien im Ausweis hatten. Und ich hatte alles davon. Zusätzlich kann es noch passieren, dass man es mit jemandem zu tun hat, der Deutsche überhaupt nicht mag.
Noch was zur Einreise:
Eigentlich glaube ich nicht, dass die israelische Politik die Terroristen für die größte Gefahr hält. Im Gegenteil, diese dienen ja zur Rechtfertigung der Besatzungspolitik und des Mauerbaus. Die wahren Probleme verursachen die Touristen und Nachrichtenreporter, die mehr wollen als nur in die „Heilige Stadt“ Jerusalem zu gehen, “Amen und Halleluja” zu sagen um sich wieder zu verziehen. Die wollen nämlich hinter den Vorhang oder, besser gesagt, hinter die Mauer schauen, in die Städte und Gebiete der „gefährlichen Palästinenser”. Deswegen wird auch noch mal gefragt nach den Reisestationen und vor den Palästinensern gewarnt. Denn was kann der israelischen Politik unangenehmer sein, wenn die Leute mehr und mehr mitbekommen, was in den besetzten Gebieten vor sich geht? Anständige und gastfreundliche Menschen im Gegensatz zu Landraub, Absperrung, Diskriminierung. Und das täglich. Wenn man dann die üblichen Sätze wie „Voraussetzung für einen Palästinenserstaat ist der Verzicht auf Gewalt” hört, fragt man sich schon, ob da nicht etwas verwechselt wird oder wie wenig Realitätsbezug man haben muss, um zu so einer Aussage zu kommen. Auch der Begriff „Verteidigung Israels“ ist nur bedingt einsetzbar, „Angriff“ würde schon besser passen: Systematische Zerstörung der palästinensischen Infrastruktur, ökonomische Isolierung, Angriffe gegen die Zivilbevölkerung.
Fahrt nach Ein Tabgha
In Israel bin ich um 20:15, es dämmert gerade. Und es sind noch 42 Kilometer bis Tiberias. Ich radle wie ein Irrer, aber die Fahrt macht Spaß. Schließlich komme ich am See Genezareth (auch als See von Tiberias bekannt), dem größten Wasserreservoir Israels, an. Hier könnte ich wieder näher auf einen der Kernpunkte des Nahostkonflikts eingehen, was ich schon im Zusammenhang mit Hasankeyf und dem Tigris-Studamm getan habe: Das Wasserproblem. Eine interessante Arbeit zu dem Thema, „Die Wasserproblematik in Nahost”, ist zu finden unter www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/poz/7376.html.
Auch die restlichen Kilometer bis Tiberias und En Tabgha sind noch zu schaffen. Kraft habe ich noch genügend, besonders nach der langen Warterei an der Grenze. Und die angestaute Wut kann ich jetzt ja ganz gut abstrampeln. Was aber auf der Uferstraße nervt, ist, dass hinter mir die ganze Zeit gehupt wird. Nicht, weil ich zu langsam oder ohne Licht fahre, sondern weil sich hier fast nur junge Leute rumtreiben, die hier gerade Urlaub machen. Da ist es halt ganz witzig, beim Autofahren mal auf die Hupe zu drücken und rauszugrölen, wenn man nicht gerade beide Hände damit beschäftigt sind, mit Bier und Joint zu hantieren. Es sind hier also eher weniger Interessenten an Spirituellem und Historischem zu finden als Urlauber.
Der Weg zieht sich hin und endlich erreiche ich etwa um 22:30 Tiberias. Zeit für ein Bier! Der nette Mann am Kiosk schenkt mir sogar eines. Denn mit den Jordanischen Dinar kann er nichts anfangen und ich habe wohl Mitleid bei ihm erregt, und die 2 Euro, die ich noch habe, will er auch nicht annehmen. Worüber ich bisher nicht informiert war, überrascht mich: Es sind immer wieder Autos und Busse der UN (UNDF) zu sehen.
Bis Ein Tabgha sind es noch etwa 20 Kilometer, wobei die Beschilderung sehr zu wünschen übrig lässt. Ich habe aber Glück, dass ich noch Autofahrer anhalten kann, die mir den Weg weisen. So erreiche ich 15 Minuten vor Mitternacht auch das deutsche Benediktinerkloster am nördlichen Ende des See Genezareth, allerdings hat es schon seit 17 Uhr geschlossen. Also wieder die paar Meter zurück zum Pilgerhaus Tabgha, wo glücklicherweise noch jemand an der Pforte ist. Anfangs komme ich mit der Sprache der drei jungen Leute nicht ganz zurecht. Kein Wunder: Sie haben hebräisch angefangen und reden jetzt arabisch, allerdings in einem Dialekt, der mich nur wenig an Syrien oder Jordanien erinnert. Doch wieder mal ist es kein Problem, deutsch zu sprechen: Der junge Pförtner hat in Stuttgart eine Ausbildung gemacht. Nach langen Gesprächen und Erzählungen von meiner Reise gehe ich um Viertel vor 3 ins „Bett“ bzw. auf meine Matratze, die ich neben einem Auto ausbreite
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Pilgerhaus Tagbha, Unterkunft 1 |